Einführung: Perspektiven der Bedarfsermittlung in der Schulbegleitung
Die Bedarfsermittlung ist ein grundlegender Prozess für die professionelle Unterstützung von Kindern mit Förderbedarf. Sie bildet die Basis für eine individuell angepasste Begleitung und effektive Förderung. Je nach fachlichem Hintergrund und Aufgabenbereich unterscheiden sich jedoch die Perspektiven, Methoden und Schwerpunkte der Bedarfsermittlung erheblich.
Diese Einführung stellt die verschiedenen Perspektiven der Bedarfsermittlung vor, die in der Arbeit mit Kindern mit Förderbedarf relevant sein können:
1. Pflegerische Perspektive
Fokus: Grundbedürfnisse, Alltagsbewältigung, körperliches Wohlbefinden
Zentrale Frage: „Welche Unterstützung benötigt das Kind bei den Aktivitäten des täglichen Lebens?“
Typisches Instrument : AEDL-Modell nach Monika Krohwinkel
Relevanz für Schulbegleitung : Die pflegerische Perspektive ist besonders wichtig bei Kindern mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen, die Unterstützung bei alltäglichen Verrichtungen wie Toilettengang, Essen, An- und Ausziehen oder der Einnahme von Medikamenten benötigen. Sie bildet oft die Grundlage für die unmittelbare Unterstützung im Schulalltag.
Beispielhafte Bedarfe :
- Hilfe beim An- und Ausziehen für den Sportunterricht
- Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme
- Hilfestellung bei der Toilettenbenutzung
- Assistenz bei der Körperpflege
Grenzen für Schulbegleiter: Schulbegleiter dürfen in der Regel keine medizinisch-pflegerischen Tätigkeiten übernehmen, die eine spezielle Ausbildung erfordern (wie z.B. Katheterisierung oder Sondenernährung).
2. Pädagogische Perspektive
Fokus: Lern- und Entwicklungsprozesse, Bildungszugang, Selbstständigkeitsförderung
Zentrale Frage: „Wie kann das Kind optimal am Unterricht teilhaben und seine Potenziale entfalten?“
Typische Instrumente : Individuelle Förderpläne, Lernstandserhebungen, Entwicklungsbeobachtungen
Relevanz für Schulbegleitung : Die pädagogische Perspektive betrifft die Unterstützung des Kindes im Lernprozess und bei der sozialen Teilhabe im Schulkontext. Schulbegleiter arbeiten hier eng mit Lehrkräften zusammen, setzen jedoch keine eigenständigen pädagogischen Maßnahmen um, sondern unterstützen die vom Lehrer geplanten Lernprozesse.
Beispielhafte Bedarfe:
- Strukturierungshilfen bei Arbeitsaufträgen
- Unterstützung bei der Konzentration auf Aufgaben
- Hilfe bei der Organisation von Arbeitsmaterialien
- Förderung der Kommunikation mit Mitschülern und Lehrkräften
Besonderheit im Schulkontext : Während Lehrkräfte für eine ganze Klasse (1:20+ Verhältnis) zuständig sind, arbeiten Schulbegleiter in der Regel im 1:1-Verhältnis mit einem Kind, was eine individuellere Unterstützung ermöglicht.
3. Intensivpädagogische Perspektive
Fokus: Komplexe Verhaltens- und Entwicklungsproblematiken, Krisenintervention, emotionale Stabilisierung
Zentrale Frage: „Wie können wir das Kind stabilisieren und ihm trotz erheblicher Herausforderungen Bildungsteilhabe ermöglichen?“
Typische Instrumente: Individuelle Krisenpläne, Verstärker- und Belohnungssysteme, strukturierte Tagesabläufe
Relevanz für Schulbegleitung : Die intensivpädagogische Perspektive ist besonders relevant bei Kindern mit schwerwiegenden Verhaltensauffälligkeiten, emotionalen Störungen oder Traumafolgestörungen. Schulbegleiter fungieren hier oft als konstante Bezugsperson und „sicherer Hafen“ in herausfordernden Situationen.
Beispielhafte Bedarfe :
- Deeskalationsmaßnahmen bei aggressivem Verhalten
- Unterstützung bei emotionaler Überforderung
- Hilfe bei der Impulskontrolle
- Begleitung bei Auszeiten und Rückkehr in den Unterricht
Grenzen für Schulbegleiter : Komplexe intensivpädagogische Interventionen sollten von entsprechend qualifizierten Fachkräften geplant werden. Schulbegleiter können bei der Umsetzung unterstützen, tragen aber nicht die Verantwortung für die Konzeption.
4. Psychologische Perspektive
Fokus: Kognitive Prozesse, emotionale Entwicklung, psychische Gesundheit, Diagnostik
Zentrale Frage: „Welche psychischen Faktoren beeinflussen das Lernen und die Entwicklung des Kindes?“
Typische Instrumente : Standardisierte Tests, klinische Beobachtung, psychologische Diagnostik
Relevanz für Schulbegleitung : Die psychologische Perspektive liefert wichtige Hintergrundinformationen zum Verständnis des Verhaltens und der Bedürfnisse des Kindes. Schulbegleiter profitieren von diesem Wissen, sind jedoch nicht qualifiziert, selbst psychologische Diagnosen zu stellen oder therapeutische Interventionen durchzuführen.
Beispielhafte Erkenntnisse für die Schulbegleitung:
- Verständnis für Auslöser von Verhaltensweisen
- Wissen um individuelle Stressoren und Bewältigungsstrategien
- Einsicht in Lernbarrieren und kognitive Besonderheiten
- Information über wirksame Unterstützungsstrategien
Qualifikationshintergrund: Für die psychologische Bedarfsermittlung ist in der Regel ein Studium der Psychologie oder Pädagogischen Psychologie erforderlich.
5. Medizinische Perspektive
Fokus: Gesundheitszustand, Diagnosen, Therapiebedarf, medizinische Versorgung
Zentrale Frage: „Welche gesundheitlichen Einschränkungen liegen vor und wie wirken sie sich auf den Schulalltag aus?“
Typische Instrumente: Ärztliche Diagnosen, Befunde, Gutachten
Relevanz für Schulbegleitung : Die medizinische Perspektive liefert grundlegende Informationen zu Erkrankungen oder Behinderungen, die den Förderbedarf begründen. Schulbegleiter müssen über relevante medizinische Informationen informiert sein, führen jedoch keine medizinischen Tätigkeiten durch.
Beispielhafte Informationen für die Schulbegleitung:
- Wissen über Symptome einer Erkrankung (z.B. Epilepsie, Diabetes)
- Kenntnisse zu Nebenwirkungen von Medikamenten
- Verständnis für krankheitsbedingte Einschränkungen
- Awareness für Anzeichen medizinischer Notfälle
Qualifikationshintergrund: Die medizinische Bedarfsermittlung erfordert eine medizinische Ausbildung (Arzt, Pflegefachkraft) und liegt nicht im Kompetenzbereich von Schulbegleitern.
Zusammenfassung
Die verschiedenen Perspektiven der Bedarfsermittlung ergänzen sich und tragen zu einem umfassenden Verständnis der Bedürfnisse eines Kindes mit Förderbedarf bei. Für Schulbegleiter ist es wichtig, die unterschiedlichen Blickwinkel zu kennen und zu verstehen, welche Aspekte für ihre eigene Tätigkeit relevant sind. Gleichzeitig müssen sie ihre beruflichen Grenzen respektieren und wissen, wann sie Fachkräfte aus anderen Bereichen hinzuziehen sollten.
Die Kunst der professionellen Schulbegleitung liegt darin, die verschiedenen Perspektiven zu integrieren und dabei stets das Wohl und die bestmögliche Unterstützung des Kindes im Blick zu behalten.
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