Intelligenzminderung und geistige Behinderung
1. Begrifflichkeiten und Definitionen
Medizinische vs. pädagogische Perspektive
- Medizinische Sicht: Definiert geistige Behinderung primär anhand des IQ-Wertes und diagnostischer Kriterien
- Pädagogische Sicht: Versteht geistige Behinderung als signifikant verringerte Fähigkeit, neue Informationen zu verstehen und anzuwenden
Definition geistige Behinderung
- Medizinisch: Eine durch prä-, peri- oder postnatale Schädigung verursachte kognitive Beeinträchtigung
- Pädagogisch: Eine verringerte Fähigkeit, ein unabhängiges Leben zu führen und komplexe Informationen zu verarbeiten
- Sozial: Eine durch gesellschaftliche Bedingungen verstärkte oder verursachte Teilhabeeinschränkung
Unterschied zwischen Lernbehinderung und Intelligenzminderung
- Lernbehinderung (IQ 70-85): Schulische Lernschwierigkeiten ohne umfassende kognitive Beeinträchtigung
- Intelligenzminderung (IQ < 70): Signifikante Einschränkung kognitiver Funktionen mit Auswirkungen auf alle Lebensbereiche
2. Klassifikation der Intelligenzminderung
Lernbehinderung (IQ 70-85)
- Keine Intelligenzstörung im engeren Sinne
- Oft spezifische Lernschwierigkeiten in einzelnen Fächern oder Bereichen
- Mit geeigneter Förderung sind reguläre Bildungsabschlüsse möglich
Leichte Intelligenzstörung (IQ 50-69)
- Bei Erwachsenen entspricht einem Intelligenzalter von 9 bis unter 12 Jahren
- Auswirkungen: Lernschwierigkeiten in der Schule, verzögerte Sprachentwicklung
- Potenzial: Viele Erwachsene können arbeiten, soziale Beziehungen pflegen und einen Beitrag zur Gesellschaft leisten
- Selbstständigkeit: Meist zu selbstständiger Lebensführung mit minimaler Unterstützung fähig
Mittlere Intelligenzstörung (IQ 35-49)
- Bei Erwachsenen entspricht einem Intelligenzalter von 6 bis unter 9 Jahren
- Auswirkungen: Deutliche Entwicklungsverzögerungen in der Kindheit
- Potenzial: Die meisten können ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und ausreichende Kommunikationsfähigkeiten erwerben
- Unterstützungsbedarf: Erwachsene brauchen in unterschiedlichem Ausmaß Unterstützung im täglichen Leben und bei der Arbeit
Schwere Intelligenzstörung (IQ 20-34)
- Bei Erwachsenen entspricht einem Intelligenzalter von 3 bis unter 6 Jahren
- Auswirkungen: Erhebliche Einschränkungen in der Kommunikation und Selbstversorgung
- Unterstützungsbedarf: Andauernde und umfassende Unterstützung ist notwendig
- Teilhabe: Mit entsprechender Unterstützung ist eine eingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich
Schwerste Intelligenzstörung (IQ unter 20)
- Bei Erwachsenen entspricht einem Intelligenzalter unter 3 Jahren
- Auswirkungen: Die eigene Versorgung, Kontinenz, Kommunikation und Beweglichkeit sind hochgradig beeinträchtigt
- Unterstützungsbedarf: Umfassende und dauerhafte Betreuung und Pflege notwendig
- Kommunikation: Meist nur rudimentäre Kommunikation möglich
3. Auswirkungen auf den Alltag und Unterstützungsbedarf
Lebenspraktische Fähigkeiten
Je nach Schweregrad der Intelligenzminderung ergeben sich unterschiedliche Herausforderungen bei:
- Selbstversorgung (Körperpflege, Ankleiden, Nahrungsaufnahme)
- Haushaltsführung (Kochen, Reinigung, Einkaufen)
- Orientierung im öffentlichen Raum und Nutzung von Verkehrsmitteln
- Umgang mit Geld und Behörden
- Planung und Strukturierung des Alltags
Kommunikation und soziale Interaktion
- Verständnis komplexer Sprache und abstrakter Konzepte meist eingeschränkt
- Expressive Sprache kann verzögert oder beeinträchtigt sein
- Schwierigkeiten beim Verstehen sozialer Regeln und Normen möglich
- Unterstützte Kommunikation kann als Hilfsmittel dienen
Bildung und Arbeit
- Recht auf Bildung unabhängig vom Schweregrad der Beeinträchtigung
- Individuelle Förderpläne und angepasste Bildungsziele
- Möglichkeiten der beruflichen Teilhabe je nach individuellen Fähigkeiten:
- Allgemeiner Arbeitsmarkt mit Unterstützung
- Integrationsfirmen
- Werkstätten für Menschen mit Behinderung
Wohnen und Freizeit
- Verschiedene Wohnformen je nach Unterstützungsbedarf:
- Eigene Wohnung mit ambulanter Unterstützung
- Betreutes Wohnen in verschiedenen Intensitäten
- Wohngruppen oder Wohnheime
- Bedürfnisgerechte Freizeitangebote fördern die soziale Teilhabe und Lebensqualität
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