Multiple Intelligenzen nach Howard Gardner
1. Kritik am klassischen Intelligenzbegriff
Howard Gardner argumentiert, dass klassische Intelligenztests nicht ausreichen, um alle Fähigkeiten zu erfassen, die für den Erfolg in verschiedenen Kulturen und Berufen relevant sind:
- Einseitigkeit traditioneller Tests: Fokussierung primär auf sprachliche und logisch-mathematische Fähigkeiten
- Kulturelle Blindheit: Vernachlässigung von Fähigkeiten, die in verschiedenen kulturellen Kontexten wertvoll sind
- Berufliche Vielfalt: Unterschiedliche Berufe erfordern unterschiedliche Intelligenzen, die durch klassische Tests nicht erfasst werden
2. Die acht Intelligenzen nach Gardner
Gardner identifizierte acht verschiedene Intelligenzformen, die unabhängig voneinander existieren können:
Sprachlich-linguistische Intelligenz
- Fähigkeiten: Sensibilität für gesprochene und geschriebene Sprache
- Stärken: Worte effektiv einsetzen, Sprachen lernen, rhetorische Fähigkeiten
- Typische Berufe: Schriftsteller, Redner, Rechtsanwälte, Journalisten, Lehrer
Logisch-mathematische Intelligenz
- Fähigkeiten: Probleme logisch analysieren, mathematische Operationen durchführen
- Stärken: Abstrakt denken, logisches Schlussfolgern, wissenschaftliches Denken
- Typische Berufe: Mathematiker, Wissenschaftler, Programmierer, Statistiker
Musikalisch-rhythmische Intelligenz
- Fähigkeiten: Begabung zum Musizieren und Komponieren, Sinn für musikalische Prinzipien
- Stärken: Melodien erkennen, Rhythmusgefühl, musikalische Ausdrucksfähigkeit
- Typische Berufe: Musiker, Komponisten, Dirigenten, Tontechniker
Bildlich-räumliche Intelligenz
- Fähigkeiten: Sinn für die Strukturen großer und kleiner Räume
- Stärken: Räumliche Gegebenheiten erfassen und visualisieren, mentale Bilder erzeugen
- Typische Berufe: Architekten, Künstler, Piloten, Chirurgen, Designer
Körperlich-kinästhetische Intelligenz
- Fähigkeiten: Den Körper und einzelne Körperteile geschickt einsetzen
- Stärken: Feinmotorik, Koordination, körperliches Ausdrucksvermögen
- Typische Berufe: Tänzer, Athleten, Handwerker, Chirurgen, Physiotherapeuten
Interpersonale Intelligenz
- Fähigkeiten: Motive, Gefühle und Absichten anderer Menschen verstehen
- Stärken: Empathie, soziale Interaktion, Führungsqualitäten
- Typische Berufe: Lehrer, Therapeuten, Politiker, Verkäufer, Manager
Intrapersonelle Intelligenz
- Fähigkeiten: Die eigenen Gefühle und Motive verstehen und beeinflussen
- Stärken: Selbstreflexion, emotionale Selbstregulation, Selbstbewusstsein
- Typische Berufe: Psychologen, Philosophen, Schriftsteller, Berater
Naturalistische Intelligenz
- Fähigkeiten: Naturphänomene beobachten, unterscheiden und erkennen
- Stärken: Sensibilität für die Natur, Muster erkennen, Klassifizieren
- Typische Berufe: Naturforscher, Umweltspezialisten, Tierärzte, Köche, Landwirte
3. Pädagogische Bedeutung der Theorie
Einfluss auf Lehr- und Lernmethoden
- Differenzierter Unterricht: Berücksichtigung verschiedener Lernzugänge und Intelligenzprofile
- Vielfältige Lehrmethoden: Einsatz unterschiedlicher Materialien und Aktivitäten
- Individualisierung: Anpassung des Unterrichts an die Stärken der Lernenden
Würdigung individueller Begabungsprofile
- Breiteres Verständnis von Begabung: Anerkennung verschiedener Talente und Fähigkeiten
- Ressourcenorientierung: Fokus auf die Stärken statt auf die Defizite
- Chancengerechtigkeit: Förderung unterschiedlicher Intelligenzen für mehr Bildungsgerechtigkeit
Kritische Betrachtung der Theorie
- Empirische Belege: Die Theorie ist empirisch nicht ausreichend belegt
- Abgrenzungsprobleme: Unklare Abgrenzung zwischen Intelligenzen, Talenten und Fähigkeiten
- Kritik der Intelligenzforschung: Ablehnung der Theorie durch Teile der traditionellen Intelligenzforschung
4. Anwendung im schulischen Kontext
Praktische Umsetzungsmöglichkeiten
- Gestaltung von Lernumgebungen, die verschiedene Intelligenzen ansprechen
- Einsatz vielfältiger Methoden zur Vermittlung eines Themas
- Verschiedene Formen der Leistungsbeurteilung, die unterschiedliche Intelligenzen berücksichtigen
Bedeutung für Kinder mit besonderem Förderbedarf
- Erkennen und Fördern alternativer Stärken bei kognitiven Einschränkungen
- Nutzung von Stärken in bestimmten Intelligenzbereichen als Zugang zum Lernen
- Steigerung des Selbstwertgefühls durch Anerkennung individueller Begabungen
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