Ursachen und Entstehung von Körperbehinderungen
Angeborene Körperbehinderungen
Angeborene Körperbehinderungen entstehen bereits vor oder während der Geburt und werden oft früh im Leben diagnostiziert. Sie können verschiedene Ursachen haben:
Genetische Faktoren:
- Chromosomale Abweichungen: z.B. bei Trisomien
- Erbkrankheiten: z.B. Muskeldystrophie Duchenne, spinale Muskelatrophie
- Gendefekte: z.B. Osteogenesis imperfecta (Glasknochenkrankheit)
Pränatale Schädigungen:
- Infektionen während der Schwangerschaft: z.B. Röteln, Toxoplasmose
- Stoffwechselerkrankungen der Mutter: z.B. Diabetes mellitus
- Medikamente oder toxische Substanzen: z.B. Alkohol, bestimmte Medikamente
- Sauerstoffmangel: z.B. durch Plazentainsuffizienz
Perinatale Schädigungen (während der Geburt):
- Sauerstoffmangel während der Geburt: kann zu infantiler Zerebralparese führen
- Geburtstraumata: z.B. Verletzungen durch Komplikationen bei der Geburt
- Frühgeburt: mit erhöhtem Risiko für verschiedene Komplikationen
Beispiele angeborener Körperbehinderungen
Infantile Zerebralparese (ICP)
- Haltungs- und Bewegungsstörung durch frühkindlichen Hirnschaden
- Betrifft etwa 2-3 von 1000 Kindern
- Kennzeichen: Spastik, Koordinationsstörungen, Gleichgewichtsprobleme
- Ursachen: Sauerstoffmangel, Infektionen, Hirnblutungen vor/während/nach der Geburt
Spina bifida („offener Rücken“)
- Fehlbildung der Wirbelsäule und oft des Rückenmarks
- Betrifft etwa 1 von 1000 Neugeborenen, Mädchen häufiger als Jungen
- Zwei Hauptformen:
- Spina bifida occulta: geschlossene Form, oft symptomlos
- Spina bifida aperta: offene Form mit sichtbaren Veränderungen
- Je nach Höhe und Ausmaß der Fehlbildung: Lähmungen, Sensibilitätsstörungen, Blasen- und Darmfunktionsstörungen
Erworbene Körperbehinderungen
Erworbene Körperbehinderungen treten nach der Geburt auf und können in jedem Alter entstehen:
Unfälle:
- Verkehrsunfälle: häufige Ursache für Schädel-Hirn-Trauma oder Rückenmarksverletzungen
- Sportunfälle: z.B. Wirbelsäulenverletzungen
- Stürze: besonders bei Kindern häufig
Erkrankungen:
- Entzündliche Erkrankungen: z.B. Enzephalitis, Meningitis, rheumatische Erkrankungen
- Tumorerkrankungen: im Gehirn oder Rückenmark
- Degenerative Erkrankungen: z.B. Multiple Sklerose, Muskeldystrophien mit spätem Beginn
Durchblutungsstörungen:
- Schlaganfall: auch bei Kindern und Jugendlichen möglich
- Gefäßmissbildungen: z.B. arteriovenöse Malformationen
Beispiele erworbener Körperbehinderungen
Schlaganfall
- Plötzlich einsetzende neurologische Funktionsausfälle durch Durchblutungsstörung oder Blutung im Gehirn
- Bei Kindern seltener als bei Erwachsenen, aber möglich
- Symptome abhängig vom betroffenen Hirnareal: halbseitige Lähmungen, Sprachstörungen, Sehstörungen
- Weltweit zweithäufigste Ursache für Behinderung
Epilepsie
- Chronisch-neurologische Erkrankung mit wiederkehrenden Anfällen
- Ursachen: genetisch bedingt oder durch Hirnschädigungen erworben
- Diagnostik mittels EEG (Elektroenzephalographie)
- Kann zu Einschränkungen im Alltag und Schulkontext führen
Traumatische Querschnittslähmung
- Schädigung des Rückenmarks durch Unfälle
- Je nach Höhe der Schädigung unterschiedliche Auswirkungen auf Bewegung und Sensibilität
- Kann zu Tetraplegie (Lähmung aller vier Extremitäten) oder Paraplegie (Lähmung der Beine) führen
Vergleich: Angeborene vs. erworbene Körperbehinderungen
Unterschiede im Erleben und in der Verarbeitung
- Entwicklungsperspektive: Kinder mit angeborenen Körperbehinderungen kennen keinen anderen Zustand und wachsen mit ihrer Behinderung auf. Ihre motorische und psychosoziale Entwicklung ist von Anfang an von der Behinderung geprägt. Im Gegensatz dazu erleben Kinder mit erworbenen Körperbehinderungen einen deutlichen Umbruch – sie müssen sich von einem nicht-behinderten auf einen behinderten Zustand umstellen, was eine große Herausforderung darstellt.
- Identitätsbildung: Bei angeborenen Körperbehinderungen ist die Behinderung von Anfang an Teil der Identitätsentwicklung. Das Kind integriert sie als selbstverständlichen Teil seiner Persönlichkeit. Bei erworbenen Körperbehinderungen muss hingegen eine bereits entwickelte Identität angepasst werden, was besonders in Phasen wie der Pubertät schwierig sein kann.
- Verlusterfahrung: Kinder mit angeborenen Körperbehinderungen machen keine direkte Verlusterfahrung im engeren Sinne, da sie keine Erinnerung an einen Zustand ohne Behinderung haben. Sie nehmen ihre Einschränkungen oft erst im Vergleich mit anderen wahr. Kinder mit erworbenen Körperbehinderungen hingegen erleben einen konkreten Verlust früher vorhandener Fähigkeiten, was häufig mit Trauer und anderen intensiven Emotionen verbunden ist.
- Kompensationsstrategien: Bei angeborener Körperbehinderung entwickeln Kinder oft frühzeitig alternative Strategien und Fähigkeiten, um Alltagsanforderungen zu bewältigen. Sie kennen ihr Leben nicht anders und finden häufig kreative Lösungen. Bei erworbenen Körperbehinderungen müssen neue Fähigkeiten und Strategien erst erlernt werden, nachdem bereits andere Bewegungsmuster und Handlungsabläufe verinnerlicht wurden.
- Soziales Umfeld: Das soziale Umfeld von Kindern mit angeborenen Körperbehinderungen ist oft von Anfang an auf die Behinderung eingestellt. Eltern, Geschwister und andere Bezugspersonen haben sich meist bereits mit der Situation arrangiert. Bei erworbenen Körperbehinderungen muss sich das gesamte soziale Umfeld neu anpassen, was eine zusätzliche Herausforderung darstellen kann.
Bedeutung für die Schulbegleitung
Für Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter ist es wichtig, diese unterschiedlichen Ausgangslagen zu verstehen und entsprechend darauf einzugehen. Während bei Kindern mit angeborenen Körperbehinderungen oft die Stärkung des Selbstbewusstseins und die soziale Integration im Vordergrund stehen, kann bei Kindern mit erworbenen Körperbehinderungen zunächst die emotionale Unterstützung bei der Verarbeitung und Akzeptanz der neuen Lebenssituation besonders wichtig sein.
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