Christoph Göttl – NeuroDeeskalation
Neurobiologie und soziale Kompetenz: Umgang mit Eskalationen und Gewalt
Die gezielten Interventionen in Konfliktsituationen sprechen verschiedene neurobiologische Mechanismen der Deeskalation an, indem sie auf Orientierung, Reduktion von Bedrohung, Stärkung von Bindung und das Bewusstmachen von Handlungsfolgen abzielen. Konkret wirken diese Mechanismen wie folgt:
Auslösen der Orientierungsreaktion:
Wenn in einer eskalierenden Situation ein neuer Reiz gesetzt wird, wie beispielsweise durch Klatschen und das Rufen des Namens, wird die Orientierungsreaktion ausgelöst. Neurobiologisch führt dies dazu, dass die Aufmerksamkeit des Betroffenen unterbrochen wird und er sich dem neuen Reiz zuwendet, um die Situation neu zu bewerten. Diese Reaktion ist evolutionär bedingt und bei Säugetieren, einschließlich Menschen, ein automatischer Prozess. Die Orientierungsreaktion ist kurz (ca. 100 Millisekunden) und in dieser Zeit ist der Betroffene empfänglich für weitere Signale.
Senden von Sicherheitssignalen durch Körpersprache:
Die Körpersprache der intervenierenden Person spielt eine entscheidende Rolle bei der Bewertung der Situation als sicher oder bedrohlich. Eine seitlich abgewandte Hüfte, die nicht auf Angriff oder Flucht vorbereitet ist, die Verlagerung des Gewichts auf ein Bein weg von einer Kampfbereitschaft, eine geöffnete und zugewandte Hand als Kontaktsignal, eine leichte Kopfneigung und eine tiefer liegende Schulter werden in diesen ersten 100 Millisekunden als Unterstützungssignale gelesen. Diese nonverbalen Signale signalisieren dem limbischen System des Betroffenen, dass keine unmittelbare Gefahr besteht, und reduzieren so das Gefühl der Bedrohtheit.
Aktivierung des Bindungssystems:
Interventionen, die auf Bindung und Unterstützung abzielen, aktivieren neurobiologische Schaltkreise, die mit Sicherheit und sozialer Zugehörigkeit verbunden sind. Der Nucleus stria terminalis im Zwischenhirn ist zuständig für Bindung, Hierarchie und soziale Beziehungen. Wenn eine Person in einer eskalierenden Situation Support erfährt, beispielsweise durch das Angebot, gemeinsam aus der Situation zu gehen, oder durch verhaltensunabhängige Unterstützungsangebote wie ein tägliches Treffen, wird dieses Bindungssystem aktiviert. Dies führt neurobiologisch zu einer Reduktion des Gefühls der Bedrohtheit, da soziale Unterstützung ein grundlegendes menschliches Bedürfnis ist. Das Gefühl der Zugehörigkeit und des Supports kann die Aktivität von Amygdala und Hippocampus, die für die Gefahrenabwehr zuständig sind, herabregulieren.
Umgang mit sozialem Schmerz:
Ausgrenzung und das Gefühl, nicht dazuzugehören, aktivieren im Gehirn ähnliche Areale wie körperlicher Schmerz, insbesondere die Insula und den dorsalen anterioren cingulären Cortex. Aggressives Verhalten und Mobbing können neurobiologisch als Versuch interpretiert werden, wieder Kontakt herzustellen und dem schmerzhaften Gefühl der Ausgrenzung entgegenzuwirken. Interventionen, die Zugehörigkeit und Unterstützung anbieten, adressieren diesen sozialen Schmerz direkt und können so die Motivation für eskalierendes Verhalten reduzieren.
Bewusstmachen von Handlungsfolgen:
In stark eskalierten Situationen oder bei Handlungen, die aus dem limbischen System heraus motiviert sind, kann die Verbindung zum Großhirn und damit zum rationalen Denken und zur Antizipation von Konsequenzen blockiert sein. Das Benennen, was passiert und welche logischen Folgen das Verhalten hat, kann diese Blockade durchbrechen und dem Betroffenen neue Informationen zugänglich machen. Dies ermöglicht es dem Großhirn, die Situation neu zu bewerten und alternative Verhaltensweisen in Betracht zu ziehen.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass gezielte Deeskalationsinterventionen auf neurobiologischer Ebene darauf abzielen, die automatische Stressreaktion zu unterbrechen (Orientierungsreaktion), Sicherheit und Unterstützung zu signalisieren (Körpersprache, Beziehungsangebote), das Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit zu befriedigen und die Fähigkeit zur rationalen Bewertung von Situationen und Handlungsfolgen wiederherzustellen. Diese Mechanismen wirken konkret, indem sie die Aktivität von Gefahrenzentren im Gehirn reduzieren und gleichzeitig Schaltkreise aktivieren, die mit Sicherheit, Bindung und sozialer Akzeptanz verbunden sind.
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