ICF: Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit
Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) wurde 2001 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlicht und stellt einen Paradigmenwechsel im Verständnis von Behinderung dar. Anders als rein medizinische Modelle betrachtet die ICF Behinderung als komplexes Zusammenspiel zwischen:
- dem Gesundheitszustand einer Person
- ihren körperlichen Funktionen und Strukturen
- ihren Aktivitäten und ihrer Teilhabe
- Umweltfaktoren und personenbezogenen Faktoren
Kernkomponenten der ICF
1. Körperfunktionen und -strukturen
- Definition: Physiologische und psychologische Funktionen von Körpersystemen sowie anatomische Körperteile
- Beispiele in der Schulbegleitung: Sehfunktion, Hörfunktion, Strukturen des Nervensystems, kognitive Funktionen
2. Aktivitäten und Partizipation (Teilhabe)
- Definition: Durchführung von Aufgaben oder Handlungen sowie Einbezogensein in Lebenssituationen
- Beispiele in der Schulbegleitung:
- Lernen und Wissensanwendung
- Kommunikation
- Mobilität
- Selbstversorgung
- Interpersonelle Interaktionen
- Teilhabe am Unterricht und sozialen Schulaktivitäten
3. Kontextfaktoren
a) Umweltfaktoren
- Definition: Materielle, soziale und einstellungsbezogene Umwelt, in der Menschen leben
- Beispiele in der Schulbegleitung:
- Physische Schulumgebung (Barrierefreiheit)
- Hilfsmittel und Technologien
- Unterstützung durch Mitschüler und Lehrkräfte
- Einstellungen im Schulumfeld
- Bildungssystem und -politik
b) Personbezogene Faktoren
- Definition: Individuelle Hintergrundeigenschaften einer Person
- Beispiele: Alter, Geschlecht, Bewältigungsstrategien, sozialer Hintergrund, Bildung, Lebensstil
Bedeutung der ICF für die Schulbegleitung
Ganzheitliche Betrachtung
Die ICF ermöglicht eine umfassende Betrachtung der Situation eines Kindes mit Förderbedarf über die reine Diagnose hinaus. Sie berücksichtigt die Wechselwirkungen zwischen allen Faktoren.
Stärkenorientierung
Statt sich nur auf Defizite zu konzentrieren, berücksichtigt die ICF auch Ressourcen und Stärken des Kindes.
Kontextbezug
Die ICF verdeutlicht, dass Behinderung nicht nur eine individuelle Eigenschaft ist, sondern auch durch Umweltbedingungen beeinflusst wird: Eine Behinderung kann durch förderliche Umweltfaktoren minimiert werden.
Praktische Anwendung in der Schulbegleitung
- Bedarfsermittlung: Identifizierung von Barrieren und Förderfaktoren in allen Lebensbereichen
- Förderplanung: Ableitung konkreter Unterstützungsmaßnahmen
- Evaluation: Beurteilung der Wirksamkeit von Interventionen
- Interdisziplinäre Zusammenarbeit: Gemeinsame Sprache für verschiedene Fachrichtungen
Grenzen und Herausforderungen
- Die ICF ist komplex und umfangreich (über 1400 Kategorien)
- Für die praktische Anwendung werden meist vereinfachte Versionen oder Core Sets verwendet
- Die Anwendung erfordert Schulung und interdisziplinäre Zusammenarbeit
- Personbezogene Faktoren sind in der ICF nicht klassifiziert
Fazit für Schulbegleiter
Die ICF bietet einen wertvollen Rahmen, um die Situation von Kindern mit Förderbedarf ganzheitlich zu verstehen. Sie hilft Schulbegleitern, über die medizinische Diagnose hinauszublicken und zu erkennen, wie sie durch ihre Unterstützung und die Gestaltung von Umweltfaktoren die Teilhabe des Kindes am Schulalltag verbessern können. Das Verständnis der ICF ermöglicht es Schulbegleitern, ihre Rolle nicht nur als Kompensation von Defiziten zu sehen, sondern als Beitrag zur Schaffung einer inklusiven Umgebung, die Teilhabebarrieren abbaut und Selbstständigkeit fördert.
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